Die Welt hat sich verändert in den letzten 25 Jahren – stilwerk mit ihr. stilwerk Chef Alexander Garbe und Changeberater Dr. Gunter Woelky im Interview über Wandel und Beständigkeit im Design – und was man von einem Urlaubsresort aus dem 3D-Druckerhalten soll. Erschienen im Jubiläums-Magazin zum 25jährigen Bestehen des stilwerk.
Alexander, vom „Institut für guten Geschmack“ bis zu Living intensified“- Wie hat sich das stilwerk in 25 Jahren verändert? Und was haben die oben genannten Claims damit zu tun?
AG: 1996 war das stilwerk ein Novum, denn es war damals der einzige Platz, der so viele Designer an einem Ort zusammengebracht hat. Das wurde mit dem Claim Institut für guten Geschmack“ passend beschrieben. Wenn man sich anguckt, wo die Reise hinging, die Veränderung der Märkte, die neuen Medien und Vertriebskanäle, der neue Anspruch ans Design dann wurde daraus folgerichtig „Destination of Design“. Und jetzt sind wir bei „Living intensified“ gelandet, weil dieser Claim am besten beschreibt, wie stilwerk sich weiterentwickelt hat. Heute sind wir nicht mehr nur ein Gebäude in dem Design angeboten wird. Sondern wir bieten Spaces, Service, Hotelerlebnisse. Das ist ein Kosmos, der das ganze Leben beeinflusst.
Herr Dr. Woelky, wie haben Sie die Entwicklung von stilwerk erlebt, gerade hinsichtlich des Mottos „Kooperation statt Konkurrenz“?
GW: Ich finde diese Basis-Idee genial. Sie reichte schon damals über das hinaus, was war und hat bis heute an Bedeutung zugenommen. Wenn wir mal auf den Globus schauen, können wir sagen, wir werden nur dann überleben, wenn wir weggehen von individuellen Lösungen – hin zu kooperativen, auch zwischen den Nationen. Das hat damals sicher noch keiner so gedacht, aber geblieben ist die Idee, dass man gemeinsam stärker ist – und das hat sich im stilwerk immer schon ausgedrückt.
Alexander, ist die heutige Gesellschaft für dieses Motto bereit?
AG: Wir erleben im Täglichen, wie schwierig das ist. Nichtsdestotrotz wären wir nicht 25 Jahre da, wenn es nicht irgendwie funktioniert hätte. Aber da gehört ein großer Aufwand und eine sehr gute Orchestrierung des Ganzen dazu. Ich glaube, dass das Motto noch weiter ausgebaut werden muss. Das ist eine Aufgabe, die nicht nur im Kleinen, sondern auch in einer größeren Perspektive beachtet werden muss. Man merkt, dass viele Dinge nicht mehr gut funktionieren, wenn man nicht zusammenarbeitet.
Wie haben sich Design-Welt und Einzelhandel verändert in den letzten Jahren?
AG: Da herrscht stetige Veränderung, momentan sehr beschleunigt, wie wir in Mailand gesehen haben. Viele Marken wachsen zu Konglomeraten zusammen oder werden zusammengekauft – meist mit einem, der orchestriert. Ich glaube, wir werden dahin kommen, dass es immer weniger kleine Händler gibt. Aber auch bei den größeren muss eine Kooperation stattfinden, denn Design ist auf Kooperation ausgelegt. Wenn du etwas entwickelst, das ein anderer nutzt, dann ist das de facto schon Kooperation.
Was macht die Entwicklung so schnell?
AG: Die Digitalisierung ist ein wahnsinniger Beschleuniger. Wir sehen, wie viele Online-shops aus dem Boden schießen, die auf einmal auch in den stationären Handel gehen Die ganze Kommunikation, die Wahrnehmung, die Geschwindigkeit … und Covid hat auch noch ordentlich Brennspritus reingegossen.
Möchten Sie etwas ergänzen, Herr Dr. Woelky?
GW: Es gibt noch einen interessanten Aspekt, den stilwerk sehr früh erkannt und vorgelebt hat. Das ist das Thema der individuellen Beratung, die bei Qualitätsprodukten eine noch viel größere Rolle spielt als früher. Der Kundenkontakt gewinnt wieder an Bedeutung. McKinsey hat 2018 herausgefunden, dass auch Kooperationen Plattformen bauen. Plattformen kooperieren mit anderen Plattformen, dadurch beschleunigt sich der Umsatz und das erhöht letztlich auch die Beratungsleistung.
stilwerk bot schon immer eine Plattform für Kunst und Kultur. Das begann mit der stilwerk design gallery und wird heute mit dem Format „ReFraming Art“ fortgesetzt, das junge Künstler:innen fördert. Was reizt Design an der Kunst und umgekehrt?
AG: Das ist ein streitbarer Punkt. Oft wird Kunst auch als Design gesehen und Design als Kunst. Beides hat zwar mit kreativen Prozessen zu tun. Aber Kunst, denke ich, ist immer noch der stärkere Ausdruck von Kultur. Design hat etwas Pragmatisches und sollte es auch immer behalten. Kunst hingegen hat wenig Pragmatisches, sondern eher Philosophisches. Auch wenn es philosophische Anteile beim Design gibt – man sollte das klar differenzieren.
GW: Dass Design keine Kunst ist, dürfte Inzwischen klar sein. Aber natürlich saugt Design aus der Kunst Honig – und ganz sicher beeinflussen Designformen und -theorien auch die Kunstwelt. Ähnliche Interaktionen gab es schon im Altertum. In Griechenland und Ägypten. In der sakralen Kunst, die dem Heiligen vorbehalten war fanden sich Formen wieder, die im Alltag das Leben der Menschen bestimmten, zum Beispiel in der Küche. Besonders deutlich für uns heute wurde diese Interdependenz mit dem 1919 gegründeten Bauhaus, also vor gut 100 Jahren, als Künstler und Designer unter einem Dach Farbe und Form lehrten.
Welche Parallelen zum stilwerk sehen Sie?
GW: Man könnte fragen, ob Design als eigenständiger Formgebungsprozess als ein solcher im Bewusstsein unserer Zeitgenossen angekommen ist: eigenständig und formgebend? Oder ob die Gegenstände, die man kaufen kann, einfach mal eben bewusstlos mit einer Außenhülle ummantelt wurden. Das zumindest kann man denken, wenn man sich in der Welt der Formen umschaut: Vieles ist unsagbar hässlich, taugt auf der Materialebene nicht viel, ist unökologisch produziert und schon gar nicht nachhaltig. Nicht so im stilwerk. stilwerk leistet seit 25 Jahren einen erheblichen Beitrag dazu, dem Thema Design mehr Bedeutung zukommen zu lassen. Neuerdings wird viel darüber gesprochen, dass den meisten Deutschen die Veränderungen zu schnell gehen.
Wenn wir uns umsehen, was auf der Ebene der äußeren Formen in nur 25 Jahren geschehen ist, kann man das verstehen. Gesellschaftspolitisch und ökologisch sind wir Deutschen wahrscheinlich eher in den letzten Waggons. Ich finde hier die Frage interessant, ob Design mit seinem immanenten Anspruch auf Modernität nicht schon von sich aus der Gegenwart voraus sein muss: Oder ob Design ein Teil jener Kraft ist, die das Neue in die Welt bringt, also nicht nur die Politik oder die Kunst oder zum Beispiel die Literatur. Heißt: Woran erkennen wir gesellschaftliche Veränderungen/Modernität zuallererst? An den Formen oder an den kulturellen Erzählungen. Oder ist das am Ende gar kein Widerspruch? Was treibt uns dazu, die Nutzformern immer besser machen zu wollen? Nur die Optimierung der Funktionalität?
Vielleicht einige Designtheorien?
GW: Es gibt einen weltberühmten Satz, der gern in der Designwelt zitiert wird: „Form follows function“. Ein Design-Objekt hat also immer eine Funktion, eine Absicht, es ist das Ergebnis des Tuns. Kunst ist genau das Gegenteil, und wenn man das jetzt noch tiefer anschaut, dann kann man auch mal Kant zitieren: „Kunst ist interesseloses Wohlgefallen“. Interesselos heißt: Kunst will nichts. Sie ist völlig funktionslos. Im ästhetischen Bereich gibt es aber die Berührung zwischen Design und Kunst. Im Bereich der Interesselosigkeit ist Design aber genau das Gegenteil von Kunst. Wenn Designer die Absicht verlieren, das, was einen Zweck verfolgt, geht es schief.
Alexander, stilwerk leistet seit einem viertel Jahrhundert einen Beitrag dazu, Design eine größere Bedeutung zukommen zu lassen. Glaubst du, dass Design heute als eigenständig und formgebend gewürdigt wird?
AG: Es würde dem Design nicht so viel Interesse entgegengebracht werden, wenn es nicht irgendwo in der Gesellschaft angekommen wäre. Wenn man sich heute anguckt, wie viele Designblogs es etwa gibt, weiß man schon, dass Design keine Modeerscheinung ist, sondern ein Teil des Lebens.
GW: Ich finde die Frage spannend: Treibt die Gesellschaft die Designprozesse oder treiben die Designprozesse die Gesellschaft? Wodurch entsteht Modernität? Was ist Modernität? Wir sprechen hier über zeitgemäße Formensprache. Der Toaster, der heute entworfen wird, sieht anders aus als der den es vor 30 Jahren gab. Ich glaube, dass Modernität, wie wir sie wahrnehmen, durch Formenveränderung identifiziert wird. Wenn alles äußerlich unverändert bliebe, würden wir kaum feststellen, dass die Gesellschaft sich verändert hat. Wir müssten schon sehr besonders hinschauen. Modern ist das, was anders aussieht? Wohl nicht!
Sollte Design seiner Zeit voraus sein oder folgt die Form den aktuellen Entwicklungen?
AG: Das ist nicht eindeutig. Natürlich hat das Smartphone ganze Wirtschaftszweige verändert. Ohne ein iPhone oder Tablet würde es heute Netflix nicht geben. Auf der anderen Seite ist Rauchen schädlich und die Industrie musste ein neues Produkt wie die E-Zigarette entwickeln, weil die andere auf dem Weg nach draußen ist – eben weil sich unsere Gesellschaft verändert hat, gesundheitsbewusster geworden ist. So treibt der Fortschritt die Gesellschaft und umgekehrt.
GW: Wenn wir mal auf das Marketing schauen, gibt es eine alte Debatte: der Unterschied zwischen Angebots- und Nachfrageverhalten. Inzwischen weiß man, dass die Angebote das Kaufverhalten beeinflussen, weniger andersherum. Die Bedarfe sind längst übererfüllt, und wir müssen uns viel einfallen lassen, damit wir Produkte entwickeln können, die marktfähig sind. Aktuell werden die Haushaltsgeräte digitalisiert und zentral vom Smartphone gesteuert. Wer wollte das eigentlich? Irgendjemandem ist das eingefallen. Finde ich das gut? Weiß ich nicht. Muss ich das haben? Weiß ich auch nicht.
AG: Wenn man sich fragt, wo sich Design noch hin entwickelt, gibt es noch ganz andere Beispiele. Es gibt zum Beispiel ein Resort in Mosambik, das mit dem 3D-Drucker aus dem Sand vor Ort gebaut wurde. Das ist doch genial! Du verwandelst nachhaltige Stoffe in ein Resort. Das ist perfektes Design. Man hat heute viel mehr Möglichkeiten, Dinge zu Design zu gestalten, als noch vor 25 Jahren.
Ein Möbelstück, das vor 25 Jahren genauso aktuell war wie heute?
AG: Ein Evergreen, der mir spontan einfällt ist das LC2-Sota von Cassina. In seiner Form und in seiner Funktion so perfekt und simpel, und jetzt auch als Outdoor-Variante erhältlich.
GW: Jeder Thonet-Stuhl. Einfach traumhaft.
Sind die Kunden bereit, für gute Manufakturqualität mehr Geld auszugeben?
AG: Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist gerade sehr präsent und wird auch sehr gefordert, und da bin ich der Meinung, dass wir einen Einfluss auf die Produktion haben. Aber man muss auch sagen, dass gutes, nachhaltiges Design immer teuer ist. Man sollte es schaffen. Produkte anzubieten, die nachhaltig sind, aber auch bezahlbar, denn nicht jeder kann sich das leisten
GW: Ich finde schon, dass es ein Auftrag der Gesellschaft wäre, dafür zu sorgen, dass wir uns von diesen Wegwerfideen komplett verabschieden. Deshalb bin ich auch gern im stilwerk. (www.stilwerk.de). Die Produkte, die es besonders hier gibt, wird es auch in 25 Jahren noch geben – und sie werden immer noch schön und aktuell sein.
Dr. Gunter Woelky ist Wirtschafts- und Sozialpsychologe, ehem. Professor für Medienpsychologie und Creative-Director. Er arbeitet heute als Managementberater und Business-Coach.
(Ende des Beitrages im stilwerk-Magazin)