Für viele hat sich Arbeitswelt in den Jahren der Pandemie drastisch verändert. Ganz sicher war für uns Berater, Therapeuten und Coaches der Weg zur Online- Kommunikation anfangs sogar mit Widerständen gepflastert – übrigens auch von Seiten der Klienten: „Können Sie mich denn angemessen erreichen und begleiten, wenn zwischen uns nur ein Bildschirm und ansonsten 500 Kilometer Luftlinie liegen?“ Heute kann ich die Frage klar beantworten: „Ja, es funktioniert, und zwar besser als ich zunächst dachte.“
Dabei ist völlig klar, dass nicht alle notwendigen Veränderungs-werkzeuge durch den Einsatz von Bildschirm-Skizzen oder von veränderten online-affinen Sprachfiguren ersetzt werden können. Eine Timeline mit Raum-Ankern ist mit Zoom oder Skype & Co. eben nicht zu machen. Und ob und wann der Klient mit den Füßen zappelt oder nicht, geht als möglicher wertvoller Hinweis IT-bedingt verloren. Daran gibt es nichts zu beschönigen.
Aber: manche Klienten sind auch erleichtert, ihren Change-Experten zunächst auf Distanz zu halten – nicht wenige haben überhaupt erst den Schritt in die Coaching- oder Therapie-Welt gewagt, weil das Netz auch Hürden abbauen kann. Und darin liegt eine große Chance.
Kürzlich sagte mir ein Vorstand, die alte Präsenzwelt werde (zu seinem großen Bedauern) nie mehr in seinen Konzern zurückkehren. Ich konnte ihn beruhigen, denn ich bin anderer Ansicht. Viele spüren während der Pandemie schmerzhaft, dass wir Menschen als soziale Wesen die physische Nähe des anderen Menschen brauchen – fast wie die Luft zum Atmen.
Dessen ungeachtet haben wir auch gelernt, aktionistische Anreisen von Hamburg nach New York zu vermeiden, ohne gleich bestimmte Kommunikationsziele aufzugeben – von reinen Zahlenmeetings ganz abgesehen, die ohnehin nur selten Präsenz benötigen. Die Pandemie macht uns also nicht immer nur zu Insulanern – sondern sie macht uns auch effizienter. Und sie setzt neue Coaching-Themen frei bzw. rückt sie näher in den Fokus. „Führung“ geht auch Online und ohne Präsenz – GUTE Führung auf die Dauer jedoch nicht.
Auffällig scheint mir zu sein, wie sehr der An- und Abfahrtzeiten-Wegfall dazu verlockt den Kalender mit noch mehr Terminen zu verstopfen. Und abends wird darüber geklagt, wie viel mehr anstrengend ein Bildschirmtag ist als der „normale Bürotag“. Wohl nicht. Hier die simple Lösung: Pausen einlegen, Bewegung einschieben, nicht mehr Terminen als sonst zustimmen.
In den 80er Jahren haben wir gelernt, dass das Medium selbst die Botschaft sei (McLuhan). Seit den 90er Jahren und darnach beginnen wir zu verstehen, auf welche Weise unsere Wirklichkeit begrifflich verfasst und bestimmt ist – wie wir also unsere Realität nicht etwa nur einfach vorfinden, sondern sie mittels Sprache selbst erfinden, Systeme und Systemisches konstruieren (Niklas Luhmann sah das anders: „Es GIBT Systeme“) – und auch, dass Medien (wie das Internet bzw. das Medium Online) keineswegs nur Content durchreichen, sondern selbst als parallel-Welt Realität erschaffen (was manchmal, vielleicht immer mehr ins Unglück führt).
Diese Realitätskonstruktion gilt ja aber nicht nur im Außen, sondern auch und besonders für unsere Innen-Welt, also für unser so genanntes individuelles Bewusstsein mit all seinen Fragen, Problemen und Hoffnungen.
Die Notwendigkeit der Konzentration auf 600 oder 900 Quadratzentimeter Bild und technikgetriebene Akustik (auch Ohrstöpsel genannt), vielleicht noch der häusliche Hintergrund (Home-Office) gibt der Kommunikation zwischen Klienten und Coach eine seltsame Andersdynamik: Man ist professionell – und doch auch privat, konzentriert, weil manche Ablenkung fehlt. Man ist abgelenkt, weil immer mal wieder eine E-Mail in den Rechner schwappt, die nicht selten heimlich mitgelesen wird, was in den Präsenz-Sitzungen zwischen Berater und Klient nicht vorkommt. Und allemal nicht zu vergessen: Coaching kann ein sehr intimer Vorgang sein, in dem es um viel mehr geht als die Frage, wie ein Gehalt verhandelt wird. Da hilft das Halbprivate mehr als jede „professionelle Umgebung der Firma“. Heute, nach einem Onlinejahr Erfahrung (bis 2019 habe ich das Online-Medium für meine Beratungsarbeit gemieden) als Berater und Coach würde ich nicht zögern zu sagen, dass eine Zoom- oder Skype- oder Teams- oder Face Time- Verbindung sogar ein Mehr an Vertrautheit und Intimität erzeugen kann als der direkte und persönliche Kontakt. Wie das gelingt ist davon abhängig, ob es beide wollen – und natürlich vom Thema und vom Ziel. Der Coach muss allerding seinen Werkzeugkasten anpassen. Online-Kommunikation und Online-Coaching und -Beratung am Bildschirm kann ein sehr guter Einstieg sein.